Alice Schwarzer schreibt

Trump: Er ist wieder da …

© Jewel Samad/AFP/Getty Images, Imago/Zuma Press
Artikel teilen

Er ist wieder da.     

Ich schreibe diesen Text Anfang Dezember. Inzwischen weiß man, dass Hillary Clinton zwei Millionen mehr Stimmen hatte als Donald Trump. In den drei entscheidenden Swing States lag sie nach offiziellen Verlautbarungen nur 0,3 bis 1,5 Prozent hinter ihm. Das ist knapp, sehr knapp. In Wisconsin wird jetzt neu ausgezählt. Es könnte sich also alles nochmal drehen. Oder auch nicht. Klar ist, dass das Land zweigeteilt ist: Von 126 Millionen WählerInnen entschied sich jeweils etwa die Hälfte für die bewusste Frau – und die andere Hälfte für den dirty white Man, den schmutzigen weißen Mann.

Es hat eben, nur ein halbes Jahrhundert nach Aufbruch der Women’s lib(eration) nicht ausgereicht, um auch die höchste gläserne Decke zu durchstoßen. Aber immerhin: Etwa die Hälfte der AmerikanerInnen war dafür, dass nach 44 Präsidenten eine Frau das Land führt, mehr noch: eine ausgewiesene Feministin! Es hätte klappen können. Vor allem bei den Frauen flossen darum nach der Wahlnacht die Tränen. Verständlich. Aber was hatten wir erwartet? Dass der herrschende weiße Mann sich kampflos zurückzieht? Dass die Geschichte eine Geschichte des Fortschritts ist – ohne Rückschläge?

Er ist wieder da, der weiße Mann. Nach acht Jahren Obama reicht es ihm. Ein schwarzer Präsident, der auch Model oder Filmstar hätte sein können, und für den sogar die Frau des weißen Mannes schwärmt. Und danach auch noch eine Frau im Weißen Haus?! Das hat gerade noch gefehlt.

Die weißen Männer haben darum doppelt so häufig Trump gewählt wie Clinton (mit 62 gegen 31%). Und ja, auch die weißen Frauen haben mehrheitlich Trump gewählt, wenn auch nicht mit so großem Abstand (52 zu 43%). Dabei haben die KreationistInnen und Evangelikalen eine Rolle gespielt: Zwei von drei weißen evangelikalen Frauen machten ihr Kreuz beim Abtreibungsgegner Trump. 

Dass Clinton dennoch gleichziehen konnte mit Trump, verdankt sie den Latinos, die zu zwei Dritteln ihr Kreuz bei ihr gemacht haben, und vor allem den Schwarzen: 82 Prozent der schwarzen Männer haben die weiße Frau gewählt und fast alle schwarzen Frauen: nämlich 94 Prozent.

Da kann das mit der Clinton angelasteten Ignoranz der „sozialen Frage“ ja nicht so ganz stimmen. Denn die People of Color gehören bekanntermaßen mehrheitlich immer noch zu den unteren Schichten. Es ist laut Wahlanalyse auch eher die weiße Mittelklasse, die Trump gefolgt ist. Das sind die Männer, die seit zwanzig, dreißig Jahren durch die Deindustrialisierung und Globalisierung zu den Verlierern gehören – und denen der Feminismus den Rest gegeben hat. Denn der hat den „Chef der Familie“ auch noch zuhause deklassiert. Dasselbe gilt für die gern zitierte „Hausfrau“ an seiner Seite. Die fühlt sich ebenfalls vom Feminismus düpiert.

Diese wütenden weißen Männer glauben dem Rattenfänger Trump, diesem als hemdsärmeliger Selfmademan auftretenden Milliardär, dass er es auch für sie schon richten werde. Und mit seinem unverhohlenen Hass gegen Hillary spricht er ihnen aus der Seele. Nein, nicht Frauenhass – ­Feministinnenhass! Hass gegen die Frauen, die einen Hosenanzug und Schuhe angezogen haben, in denen sie mit großen Schritten in die Männerwelt eindringen.

Hillary, die Tochter eines im Waisenhaus aufgewachsenen Dienstmädchens und Stipendiatin des Elite-Frauencolleges Wellesley, war von Anbeginn an eine Ausnahmebegabung. Ihre Kommilitoninnen erinnern sich bis heute, dass sie bereits zu Studienzeiten überzeugt waren: Hillary wird eines Tages die erste Präsidentin von Amerika sein. Wer, wenn nicht sie! Doch schon als First Lady („Wählt einen, ihr kriegt zwei“) durfte sie nicht Mitregentin sein, sondern musste der Nation immer wieder beweisen, dass auch sie nur eine Frau ist: Plätzchen backen, Damenkränzchen einladen, gefühlt wöchentlich die Frisur wechseln. Wie darf es denn sein? Was ist denn recht bei einer Frau, die ­unverhüllt intelligent und tüchtig ist?

Die Geschichte von Hillarys Demütigung durch die Lewinsky-Affäre schließlich wurde weltweit genüsslich aufgenommen: Sie mag ja seine Gesprächspartnerin sein, aber begehren tut er sie nicht. Die für Frauen übliche Trennung: Kopf oder Körper? Kopf.

Das alles sind Erfahrungen, die ihrer Vorgängerin auf der Weltbühne, der deutschen Bundeskanzlerin, erspart blieben – oder sie zumindest nicht anfassen konnten. Merkel ist heute, zumindest im Ausland, die geachtetste Staatschefin der westlichen Welt und nach dem Trump-Sieg in den Augen der New York Times die „letzte Verteidigerin des freien Westens“.

Sicher, Merkel hatte es auch schwer. Aber der 1954 Geborenen und in der DDR Aufgewachsenen sind in den vergangenen Jahrzehnten nicht solche Wunden geschlagen worden wie den Pionierinnen der westlichen Frauenbewegungen. Und eigentlich ist Merkel 2005 auch nur aus Versehen Kanzlerin geworden. Es war quasi ein Unfall.

Die Älteren unter uns erinnern sich vielleicht: Die Bestrebungen, Merkel als potenzielle Kanzlerkandidatin zu stürzen, waren innerhalb ihrer eigenen Partei gerade munter zugange, als der SPD-Kanzler Schröder im Juli überraschend hinschmiss – und der CDU/CSU nichts anderes ­übrigblieb, als im September mit der Kandidatin anzutreten. Die wurde dann gewählt, wenn auch mit weniger Stimmen als erhofft.

Die Wochen nach der Wahl aber scheinen inzwischen die meisten vergessen zu haben. Es war wie in Absurdistan. Alle, Opposition wie Union, versuchten über Wochen zu verhindern, dass die gewählte Kandidatin auch Kanzlerin wird. Die ­absurdesten Modelle wurden verbreitet. Bis hin zu dem – ernst gemeinten! – Vorschlag: Schröder solle doch erst nochmal zwei Jahre lang weiterregieren, und Merkel dann antreten (Hintergedanke: Bis dahin wäre die schon zermürbt).

Warum? Einzig und allein, weil Merkel eine Frau ist! Das genügte 60 Jahre nach 1945 auch in Deutschland noch. Nicht zufällig hat Merkel nach dieser Erfahrung sehr viel dafür getan, vergessen zu machen, dass sie eine Frau ist. Ihr DDR-geprägter kameradschaftlicher Stil und ihre in der Wissenschaft gewohnte Augenhöhe in der Zusammenarbeit mit Männern kamen ihr dabei zur Hilfe. Dennoch: Ebenfalls nicht zufällig war ihr Inner Circle lange rein weiblich.

Warum aber hat es nicht auch Hillary Clinton geschafft? Weil sie nicht nur eine Frau ist, sondern sogar eine Feministin. Man stelle sich das in Deutschland vor: Eine bekennende Feministin bewirbt sich um das höchste politische Amt … Bei uns trauen sich ja noch nicht einmal die ­Ministerinnen, das böse F-Wort in den Mund zu nehmen. Was viel aussagt, sowohl über die Politikerinnen wie über Deutschland. In Amerika ist es für die fortschrittliche Hälfte der Bevölkerung, Frauen wie Männer, selbstverständlich, sich als FeministIn zu bezeichnen. Auch das ist ein Grund für den heftigen Zusammenstoß des in pro und kontra Emanzipation gespaltenen Landes.

Im Fall von Hillary kommt noch verschärfend hinzu: Sie ist eine Feministin der Pionierinnen-Generation. Das sind wir. Wir, die wir an allem schuld sind! Schließlich waren wir es, die die ganze schöne Hierarchie, in der der weiße Mann auf dem Rücken der weißen Frau stand, ins Wanken gebracht haben. Das hat Hillary Clinton nicht nur ein Donald Trump übelgenommen, sondern auch ein Bernie Sanders. Der linke Kandidat hat mit seiner Häme Clinton mit hoher Wahrscheinlichkeit die entscheidenden Prozentpunkte gekostet.

Susan Bordo, Professorin für Gender Studies in Kentucky und Feministin der Hillary-Generation, hat in einem klugen Aufsatz „Sanders Mitschuld“ an Hillarys Niederlage analysiert. Der hatte es zwar vermieden, seine Parteikonkurrentin direkt als Lügnerin zu bezeichnen, aber ansonsten alle sexistischen Klischees gegen die „männliche“ Frau mobilisiert: Teil des Establishments, kalt, korrupt und unau­thentisch. Waren die Pöbeleien Trumps für potenzielle Clinton-WählerInnen weitgehend unglaubwürdig, so fielen die Verleumdungen von Sanders auch bei den Fortschrittlichen auf traditionell fruchtbaren Boden: So eine kann doch keine normale Frau sein – was immer auch eine normale Frau sein mag.

Vor allem so manche aus der Töchtergeneration hat das nachgebetet. Viele Töchter sind eben leider immer noch gewohnt, Papi zu bewundern und Mami zu verachten. Und sie scheinen keinen blassen Schimmer davon zu haben, dass die zerrissene Generation ihrer Mütter ihnen überhaupt erst den Weg in die Welt geebnet hat. Das war, in allen Schlammschlachten, vielleicht das Bedrückendste.

Und vor allem, dass trotz alledem – oder darum – der Faktor Frau so runtergespielt wurde. Von allen. Von der Politik. Von den Medien. Ja, sogar von Clinton selbst. 

Aber ja: Nach 44 Präsidenten wäre eine Präsidentin der Vereinigten Staaten revolutionär gewesen! Einfach schon qua Geschlecht. So wie nach 43 weißen Staatschefs der schwarze Präsident revolutionär war. Und das nicht etwa, weil Obama so ein besonders überzeugendes Programm gehabt hätte. Sondern ganz einfach, weil er SCHWARZ ist.

Gab es so eine Obamanie für Clinton? Gab es eine Clintonie, ganz einfach, weil sie eine FRAU ist? Nein. Im Gegenteil. Für Clinton zu sein, nur weil sie eine Frau ist, galt in fortschrittlichen Kreisen als uncool, als peinlich und unpolitisch. Der Faktor Geschlecht wird eben auch fünfzig Jahre nach Aufbruch der Neuen Frauenbewegung noch immer nicht als politischer Faktor verstanden. Auch von den Frauen selbst nicht. 

Du bist doch nicht etwa für Clinton, nur weil sie eine Frau ist? Doch, bin ich. Und ich hatte mich, ehrlich gesagt, schon gefreut auf die Fotos vom Gipfeltreffen: Hillary Clinton & Angela Merkel, side by side. 

Ja, aber hat jemand wie ich denn gar keine Kritik an Clinton? Oh doch. Auch ich halte ihre Nähe zur Wall Street für höchst problematisch. Aber die haben sie ja alle, Obama inklusive. Und ich halte vor allem ihre auch als Außenministerin offensive Interventionspolitik für fatal. Aber auch die haben ja bisher alle US-Präsidenten betrieben. Mit ihren selbst­gerecht angezettelten Kriegen, von Irak über Afghanistan bis Libyen, haben die USA unsere Welt ins Wanken gebracht. 

Sollte ein Donald Trump mit seiner angekündigten Isolationsstrategie an diesem Punkt zurückhaltender sein, wäre das ein kleiner Trost. Tröstlich auch, dass Europa sich angesichts von Trumps America-first-Ideologie vielleicht ein wenig mehr auf sich selbst besinnen könnte.

Doch was bedeutet die Niederlage von Hillary Clinton nun für uns Frauen? Viel. Sehr viel. Sie erinnert uns daran, dass noch lange nicht alles gewonnen ist. Dass der Fortschritt kein automatischer ist. Dass das Terrain, das wir Frauen in den letzten 40 Jahren erobert haben, uns jederzeit wieder genommen werden kann. Wir müssen es täglich neu verteidigen. Das beginnt mit dem Recht auf Abtreibung, das heute in der ganzen westlichen Welt wieder in höchster Gefahr ist. Und es endet noch lange nicht mit der Quote, von der eh nur eine privilegierte Minderheit profitiert. 

Für alle Frauen gilt: Sie sind wieder da. Da heißt es, wachsam sein und kampfbereit.

Ausgabe bestellen
Anzeige
'
 
Zur Startseite