Pornografie propagiert Gewalt

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Sie sind auf der Straße. Im Büro. Im Parlament. An der Uni. In den Medien. In der Schule. Nebenan. Zu Hause. Sie sehen die Pornos. Und sie sehen uns. Und sie sehen wieder die Pornos. Und sie sehen wieder uns - und genau das ist einer der Gründe, warum so viele Frauen die Bedrohung durch die Pornografie nicht wahrhaben wollen.

Das soll ich sein? Dieses Stück Fleisch? Diese winselnde Hündin? - Zu der Sorte Mensch soll ich gehören? Eine, die wimmert: Nimm mich, wie du willst! Mach mit mir, was du willst! Verfüge über mich. Benutze mich. Zerstöre mich. So eine soll ich wirklich sein? - Nein. Das bin ich nicht! Lieber verschließe ich die Augen.

Die Scham und die inneren Widersprüche, zwei gute Gründe auch für Frauen, Pornografie nicht wahrhaben zu wollen. Und es gibt noch einen dritten sehr guten Grund: die Angst. Denn Frauen, die den Kampf gegen die Pornografie aufnehmen, machen sich unbeliebt. Sehr sogar.

Als der deutsche Gesetzgeber im Zuge der großen Sexualstrafrechtsreform 1975 auch den Anti-Porno-Paragraphen 184 StGB liberalisierte, verband er damit wohl die Hoffnung auf mehr Freiheit der Individuen, aber auch auf mehr Selbstverantwortung. Typisch ist dafür die Position des damals beim Hearing zur Gesetzesreform gehörten Psychoanalytikers Alexander Mitscherlich, der für die Reform plädierte, dabei allerdings auf den Schutz einer "aufklärenden Selbsthilfe der Bürger gegen die aggressive Schundliteratur" hoffte. Das Gegenteil trat ein. Weder regulierte eine "Selbsthilfe der Bürger" den Markt. Noch wurde die Pornografie zum Abfuhrventil für sexuelle Aggressionen.

Die neuere internationale Wirkungsforschung, vor allem aus den USA, beweist eindeutig direkte Zusammenhänge zwischen dem Konsum von Pornografie und der Zunahme sexueller Aggressionen von Männern. Die skandinavischen Länder, die bereits Ende der 60er/Anfang der 70er Jahre ihre Anti-Pornografie-Gesetzgebung liberalisierten, zogen darum längst Konsequenzen aus der alarmierenden Entwicklung. 1980 schränkte Schweden seine völlige Freigabe der Pornografie wieder ein; inzwischen haben alle skandinavischen Länder nachgezogen.

In den USA gingen Frauen ab 1978 gegen Pornografie auf die Straßen und forderten die Regierung auf, endlich zu handeln. Heraus kam der 1986 erschienene Meese-Report. Dieser 1.960 Seiten umfassende Report des Justizministeriums versucht, "das Wesen und Ausmaß der Pornografie in den USA" sowie "deren Einfluss auf die Gesellschaft" zu erfassen. Dazu hörte monatelang eine elfköpfige Kommission in zahlreichen Städten 208 ZeugInnen, die in der Porno-Industrie gearbeitet haben oder auf andere Weise durch Pornografie verletzt oder geschädigt wurden. Ihre Ergebnisse sind alarmierend.

Auch die steigende Pornografie in der Bundesrepublik und die Expansion durch die neuen Medien (zum Porno-Video kommt inzwischen auch das Porno-Heimcomputer-Spiel) machen ein rasches Handeln nötig.

Es geht bei Pornografie nicht um Lust. Es geht um Macht. Eros liegt plattgewalzt unter den Rädern der Sexmaschine. Sex und Gewalt sind heute in den Phantasien und Bedürfnissen von Männern wie Frauen kaum lösbar miteinander verbunden. Pornografie macht die Frauen und die Sexualität kaputt. Pornografie, dieses "kalte Herz der Frauenfeindlichkeit" macht "Sexismus sexy" (McKinnon). Mehr noch: Sie macht den Geschlechterkampf zum Geschlechterkrieg. Pornografie ist Kriegspropaganda gegen Frauen.

Sie sind in diesem ihrem Krieg schon ganz schön weit gekommen: Am Anfang haben sie uns "nur" ausgezogen; dann haben sie uns "nur" vergewaltigt; dann haben sie uns "nur" gefoltert; jetzt zerstückeln sie uns. Immer mehr wird die Porno-Produktion zur Gewalt-Porno-Produktion. Jeder Bürger ein Marquis de Sade. Das ist Demokratie im Patriarchat.

Pornografie, das Wort kommt aus dem Griechischen und bedeutet: Darstellung von Huren. Pornografie schafft ein Frauenbild, das Frauen zu Menschen zweiter Klasse degradiert. Pornografie bedroht die elementaren Menschenrechte von Frauen: das Recht auf Würde oder Freiheit, auf körperliche Unversehrtheit oder Leben.

Bilder, die Menschen sich von Menschen machen, haben Auswirkungen auf deren gesellschaftliche, soziale und psychische Realität - das ist bei einem sexistischen Bild nicht anders als bei einem rassistischen oder einem antisemitischen.

Das geltende Strafrecht (§ 184 StGB) definiert Pornografie anders. Danach sind Darstellungen dann pornografisch, wenn sie "auf Erregung eines sexuellen Reizes beim Betrachter abzielen und dabei die im Einklang mit allgemeinen gesellschaftlichen Wertvorstellungen gezogenen Grenzen des sexuellen Anstands eindeutig überschreiten". Der § 184 StGB dient also dem Schutz eines allgemeinen "Anstands"gefühls, nicht dem Schutz der Würde von Frauen.

Der von EMMA vorgeschlagene Gesetzesentwurf will die Opfer schützen. Er präzisiert und ergänzt den geltenden Anti-Porno-Paragraphen. Allerdings durch ein zivilrechtliches Gesetz, das die Ahndung eines Verstoßes nicht in die Hand des Staatsanwaltes, sondern in die der betroffenen Bürgerinnen selbst legt.

So ein Gesetz würde auch eine Gesetzeslücke schließen. Die zeigte sich nicht zuletzt beim sogenannten Stern-Prozess im Sommer 1978, bei dem auf Initiative von EMMA hin zehn Frauen den Stern wegen seiner sexistischen, Frauen erniedrigenden Titelbilder verklagten. Als Richter Engelschall das Urteil sprach, gab er den Klägerinnen zwar moralisch recht ("Die Kammer verkennt nicht, dass es ein berechtigtes Anliegen sein kann"), aber juristisch unrecht. "Diese Klage", so argumentierte der Richter, "hat in dem geltenden Rechtsschutzsystem noch keinen Platz. Mit einem solchen Anliegen müssten sich die Klägerinnen vielmehr an den Gesetzgeber wenden." - Das tun wir hiermit.

"Jede der Klägerinnen ist durch die vorgelegten Titelbilder als Mitglied der Gruppe Frauen persönlich betroffen und in ihrer Ehre verletzt." So argumentierte schon 1978 Rechtsanwältin Gisela Wild, die damals die Klägerinnen im Stern-Prozess vertrat. Mit Hinweis auf die sexistischen bzw. pornografischen Titelbilder des Stern fuhr sie fort: "Die Darstellung der Frau ist auf diesen Bildern völlig entpersönlicht und reduziert auf geschlechtliche Benutzbarkeit. Zugleich wird damit weibliche Unterlegenheit und männliche Dominanz ausgedrückt. (...) Die Frau wird so dargestellt, als sei sie männlicher Lust jederzeit verfügbar und unterstehe damit seiner Beherrschung."

Doch seither ist die Pornografie auch in den Medien nicht weniger, sondern mehr und härter geworden. Doch immer noch fehlt ein Gesetz, das die Opfer davor schützen könnte. Auch die Pressefreiheit wird nicht zufällig im Artikel 5 des Grundgesetzes beschränkt, wo es in Absatz 2 heißt, sie findet "ihre Schranken in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den gesetzlichen Bestimmungen zum Schutze der Jugend und in dem Recht der persönlichen Ehre". Sie hat auch ihre Pflichten, diese Pressefreiheit. So die Pflicht, im Dienste der Aufklärung und nicht in dem der Anti-Aufklärung, der Volksverhetzung zu stehen. Antisemitische und rassistische Darstellungen verbietet in der Bundesrepublik das Gesetz. Bei sexistischen Darstellungen sollte es nicht anders sein.

Wir leben in einem Land, in dem die Propagierung eines plumpen Antisemitismus auf Protest stößt: Wer Bilder von hakennasigen, raffgierigen, kinderschändenden Juden veröffentlichen würde, bekäme Ärger. Wir leben in einem Land, in dem die Propagierung eines plumpen Rassismus auf Protest stößt: Wer Bilder von trolläugigen, dummen, allzeit dienstbaren Schwarzen veröffentlichen würde, bekäme Ärger. Doch wir leben auch in einem Land, in dem die Propagierung eines plumpen Sexismus eine Selbstverständlichkeit ist, Teil der "Meinungsfreiheit".

"Echt in" in modernen Kreisen: allzeit bereite, dümmliche, unterwürfige, verfügbare, benutzbare, missbrauchte Frauen.

Es gibt nicht viele Männer, die das empört. Doch auch unter den Frauen sind noch längst nicht alle gegen Pornografie. Das ist schon befremdlicher. Denn wenn wir den Kampf gegen die Pornografie nicht gewinnen, verlieren wir den Kampf um unsere Emanzipation. So einfach ist das. Übrigens: Der allererste Satz des Grundgesetzes lautet: "Die Würde des Menschen ist unantastbar." Die Würde der Frau ist antastbar. - Wie lange noch?

EMMA 12/1987, veröffentlicht in "Alice im Männerland - eine Zwischenbilanz" (Kiepenheuer & Witsch, 2002).

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